Witzig – kaum schreibe ich einen Beitrag zum Thema “Lernstufen”, da stolpere ich über den Blog von Steve McIntosh, Autor von “Integral Consciousness”, der von seinem Zusammentreffen mit einem Anhänger der Gewaltfreien Kommunikation berichtet.
Blog of Steve McIntosh, author of Integral Consciousness: The First Leg of My Book Tour. Er schreibt,
“At one New Age bookstore talk I received a comment that the philosophical idea of “the good” did not comport with the principles of “non-violent communication.” The questioner even quoted Rumi as inviting us to “meet in a place beyond good and evil.” My polite response was that the integral philosophy of evolution is chiefly concerned with the improvement of the human condition, and that it effectively transcends the “black and white” conceptions of good and evil characteristic of the traditional level. Nevertheless, I emphasized that the idea of “the good” is a very important concept that we need to hold onto, even as we recognize this value’s dialectical metamorphosis through the growth of the spiral of development.”
[Übersetzung Markus: “Während eines Gesprächs in einem New-Age-Buchladen meinte jemand, dass sich die philosophische Idee des “Guten” nicht mit den Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation” vertrage. Der/die Fragende hat auch noch Rumi zitiert, der uns einlade “sich an dem Ort jenseits von Gut und Böse zu treffen”. Meine höfliche Antwort war, dass die integrale Philosophie der Evolution ernsthaft an der Verbesserung der menschlichen Bedingungen interessiert ist, und dass sie tatsächlich die “schwarz-weiß”-Konzepte von Gut und Böse transzendiert, die traditionelle Ebenen auszeichnen. Ich betonte, dass die Idee des “Guten” dennoch ein sehr wichtiges Konzept ist, dass wir festhalten sollten, auch wenn wir erkennen, wie sich die Werte dialektisch wandeln während des Wachstums auf der Entwicklungsspirale.”]
Dazu ließe sich Vieles sagen, hier nur Folgendes: Die Gewaltfreie Kommunikation ist nicht, noch einmal, nicht wert- oder bewertungsfrei! Um unsere Bedürfnisse als erfüllt / unerfüllt zu bemerken müssen wir die Realität a) wahrnehmen und b) ein Urteil fällen, d.h. die Realität bewerten (ob sie unsere Bedürfnisse erfüllt / oder eben nicht).
D.h. selbst innerhalb der Methodik der Gewaltfreien Kommunikation ist eine Wertungsebene gegeben – und sie geht damit von dem Prinzip des “Guten” (gut für meine Bedürfnisse) aus, bleibt da aber nicht stehen, sondern geht darüber hinaus. Auch Marshall Rosenberg betont dies immer wieder (das letzte Mal, als ihn jemand gefragt hat, “ob man denn in der GFK weiter bewerte”, meinte er nur lapidar “Das hoffe ich doch schwer – wie willst du sonst wissen, ob deine Bedürfnisse erfüllt sind oder nicht?”).
Darüber hinaus vertritt natürlich auch die Gewaltfreie Kommunikation an sich, als Gesamtkonzept, ein sehr deutliches Werturteil. Sie trifft unterscheidende (wertende) Aussagen darüber, welche Kommunikation “lebensdienlich”, “gewaltfrei”, “verbindend” etc. ist.
Ich finde die Gewaltfreie Kommunikation gut und ich kann dies dann mit meinen (damit erfüllten) Bedürfnissen begründen – was nichts daran ändert, dass ich auch damit eine Bewertung treffe. Wenn ich dies vermeiden wollte, würde ich zum Einen in heillose argumentative Schwierigkeiten kommen und, was schlimmer ist, einem geist- und sinnentleertem Relativismus frönen, der in letzter Konsequenz nichts gut oder schlecht findet und richtungslos im Wertevakuum umherirrt.
Ich denke die Schwierigkeit liegt für viele “Neulinge” darin, dass die Gewaltfreie Kommunikation Werte transformiert, d.h. sie schließt Wertedenken ein (!) und geht darüber hinaus. Wir verstehen Werte und Bewertungen als natürlichen und wichtigen Ausdruck des Lebens – und daher schätzen wir das “Wolfsdenken” (bewertendes Denken) und nutzen sie als Material und Ausgangspunkt für das menschliche Wachstum auf der endlosen Spirale des Mitgefühls und der Bewußtheit.
Aus Sicht einer integralen Entwicklungsperspektive ist die Gewaltfreie Kommunikation Ausdruck egalitärer, weltzentrischer, alle Menschen umfassenden Werte. “Alle Menschen haben die gleichen Bedürfnisse” und “Wir suchen Wege, die die Bedürfnisse aller Menschen wertschätzen” sind nur zwei Varianten dieser weltzentrischen Aussagen.
Manche übersehen dabei jedoch, dass Menschen einen inneren Entwicklungsweg hinter sich haben – von egozentrisch (Ich bin wichtig), über soziozentrisch (meine Gruppe/Familie/Stamm/Land/Religion ist wichtig) -, bevor sie weltzentrische Werte aus sich heraus anerkennen und leben (!) möchten. Manche Erwachsene bleiben auch auf einer eher ego- oder soziozentrischen Ebene stehen, was völlig in Ordnung ist (jeder hat das Recht, auf der Ebene zu sein, wo er/sie ist) – solange er/sie diese Weltsicht nicht mit Gewalt anderen Menschen aufzwingen möchte…
Ich freue mich über Kommentare und Fragen.
Ich finde es interessant, dass Rosenberg einerseits so nachdrücklich gegen das Wort »sollte« argumentiert wie auch gegen die Dichotomien gut – schlecht, richtig – falsch, krank – gesund und so weiter — und sich andererseits bewusst ist, dass die Haltung des Nicht-Bewertens selbstwidersprüchlich ist.
Das Wort »sollte« und die Dichotomien sind doch einfach nur Signalwörter, die zeigen, dass man über eine Moral spricht.
Klar, wenn ich eine Bitte an einen anderen habe, dann ist es nicht hilfreich, ihm vorab eine Kritik zu servieren (»Dein Verhalten war falsch, schlecht und böse«), sondern mit einer möglichst objektiven Beobachtung zu beginnen.
Aber wir können nicht auf eine Moral und damit Hierarchien verzichten: Gewaltfrei kommunizieren ist z.B. besser als morden. Man unterhält sich ja auch bisweilen über allgemeine Prinzipien. Ich habe also keine Bitte an einen Menschen, sondern unterhalte mich nur über allgemeine Fragen der Ethik. Was spricht gegen die Aussage: »Man sollte einfühlsam sein« oder »Man soll nicht stehlen, morden und so weiter« oder »Ich finde es gut, wenn die Menschen gegen den Krieg demonstrieren.« Ist das so viel anders als »Wenn ich sehe, wie diese Menschen gegen den Krieg demonstrieren, macht mich das glücklich, weil mein Bedürfnis nach Frieden und Harmonie befriedigt ist«?
Könnte es sein, dass Rosenberg einfach nur gegen die christliche Ethik allergisch ist, weil die Moral des Altruismus eben gerade nicht dazu führt, dass die Menschen Konflikte schnell lösen können und glücklich werden, sondern diese Moral eher ein Dominanz-Instrument ist? Warum die Moral des Altruismus so problematisch ist, habe ich hier länger ausgeführt: http://www.heuler.de/freiwillig
Hinzu kommt, dass uns diese Moral meist mit der Schuld- und Schamkeule eingeimpft wird, was Rosenberg auch zurecht ablehnt.
Könnte es also sein, dass er das Kind (Ethik) mit dem Badewasser (Altruismus und die Art der Indoktrinierung dieser Moral) ausgeschüttet hat?
Warum nicht einfach die Ethik umdefinieren, sodass sie das Wohlbefinden unter den Menschen steigert und gewaltfrei ist, z.B.: Die Freiheit eines jeden hat als logische Grenzen die Freiheit der anderen. Man müsste Freiheit dann noch genauer definieren, z.B. als Abwesenheit von Gewalt und Zwang. Was wiederum erfordert, dass wir Gewalt genauer definieren.* Aber diese Definitionen wären ja zu finden.
Diese neue Ethik könnte dann auch anders vermittelt werden, eben auch gewaltfrei und ohne Zwang.
Was spräche dann dagegen, diese Dichotomien und das Wort »sollte« wieder zuzulassen?
Gruß Oliver Heuler
* Das wäre meine Bitte an Sie, Herr Sikor: Könnten Sie mal Gewalt definieren?