Gefühle und Bedürfnisse sind wichtig, aber nicht alles
Benutzt Euren Verstand
Ich empfehle den Menschen stets zweierlei. Zunächst einmal: Benutzt euren Verstand. Jede Situation kann aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. … Neben dem Verstand ist der zweite entscheidende Aspekt die Herzenswärme. Um die Grenzlinie zu überwinden, die zwischen „ihnen“ und „uns“ besteht. … Sie verhindert, dass wir uns der Gemeinschaft aller Menschen verbunden fühlen
Es braucht beides, Hirn und Herz! Der Verstand alleine führt in die Irre, weil er sich in unendlichen Perspektiven und Konzepten verlieren kann. Er braucht die Herzenswärme, die die Einheit der Menschen spürt und ihm damit eine Richtung gibt. Die Herzenswärme alleine führt in die Irre, weil sie kein richtig und kein falsch, kein gut und kein böse kennt, nicht analysiert und keine Entscheidungen treffen kann. Sie braucht den Verstand, um in dieser Welt zurecht zu kommen.
Die integrale Theorie bietet wichtige „Landkarten“ für die gewaltfreie Kommunikation
Mir gibt seit vielen Jahren die integrale Theorie hilfreiche Anregungen und ich möchte allen, die sich intensiver mit der Gewaltfreien Kommunikation beschäftigen – vor allem die Trainer und Ausbilder – anregen, sich damit zu befassen. Leider wirkt das integrale Gedankengebäude auf den ersten Blick komplex und verwendet schrecklich viele Fremdworte. Das integrale Forum bietet auf seiner Homepage viele Texte zur Einführung, darunter auch eine kostenlose kleine Broschüre zur Integralen Theorie , modern aufgemacht, vielleicht hilft das für einen einfacheren Einstieg oder auch diese kurze Einführung von Dennis Wittrock:
Niemand kann sich zu 100% irren
Mir gefällt, dass die integrale Theorie versucht, alle Wissensbereiche ernst zu nehmen und zu integrieren – daher der Name „integrale“ Theorie. Ken Wilber , der wichtigste moderne Vertreters sagt oft, dass er glaubt, „niemand könne sich zu 100% irren“. Das ist doch ein sehr menschenfreundlicher Ansatz, oder? Allerdings heißt das umgekehrt auch, dass kein Wissensbereich alleine die Wahrheit für sich pachten kann. Jeder hat Recht, aber nicht jeder hat immer gleich Recht.
Die integrale Theorie spricht davon, dass sie „Landkarten“ anbietet, um diese Welt besser zu verstehen. Eine Landkarte bietet eine neue Perspektive auf die Wirklichkeit, eine vereinfachte Sicht, die aber ausreicht, um sich besser zurechtzufinden. Wie der Dalai Lama meinte, man kannalles aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Was hat die integrale Theorie nun zu Gefühlen und Bedürfnisse zu sagen?
Die vier wichtigsten Perspektiven – subjektiv/ objektiv und individuell / kollektiv
eine wichtige integrale „Landkarte“ nennt sich die „vier Quadranten“. Damit ist gemeint, dass wir jede Erfahrung, jedes Phänomen aus vier unterschiedlichen Blickwinkeln oder Perspektiven betrachten können. Dies sind die subjektive oder objektive Perspektive , sowie die individuelle oder kollektive Perspektive. Wenn man diese beiden Perspektiven in einem Quadrat aufzeichnet, ergeben sich die vier Quadranten.
Der innerliche Bereich, das Subjektive hat im integralen Modell die gleiche Gültigkeit, wie der objektive Bereich, genau wie individuelle und kollektive Phänomene.
Die vier Quadranten sind voneinander abhängig. Bspw. nehme ich ein Gefühl wahr (innerlich, individuell). Dieses Gefühl lässt sich äußerlich nachweisen durch eine neuronale Tätigkeit meines Gehirns, durch Hormone in meinem Körper etc. Umgekehrt kann man von einer neuronalen Tätigkeit in bestimmten Gehirnregionen auf Gefühle schließen, aber man kann diese dadurch nicht völlig erklären, oder verstehen. Mit den Worten Ken Wilbers:
Die rechte Hälfte (der Quadranten, m.A.) ist sichtbar, die linke jedoch bedarf der Interpretation. Das liegt daran, dass Tiefe im Gegensatz zu Oberfläche nicht direkt wahrnehmbar ist. Auf der rechten Seite fragen wir nach dem Verhalten: „Was tut es?“ Auf der linken fragen wir: „Was bedeutet es?“
Gefühle kann man zwar messen, aber um sie zu verstehen, muss man mit einem Menschen reden, sich in ihn einfühlen und versuchen zu verstehen.
Gleichzeitig ist mein Gefühl, obwohl ganz „meins“, durch meine Kultur geformt und beeinflusst. Die Sprache die ich gelernt habe (im Quadrant rechts unten) beeinflusst natürlich, ob ich überhaupt Worte habe für bestimmte Emotionen, oder nicht. Es ist also zu vereinfacht, wenn
Die vier Quadranten helfen auch, zu verstehen, wie wir in der Gewaltfreien Kultur Bedürfnisse von Werten unterscheiden. Auch wenn beide Aspekte sehr ähnlich sind, so treten Bedürfnisse (wie Gefühle) nur in Individuen auf, Werte dagegen entstehen in Gruppen. Beide sind innerlich, man kann sie nicht sehen oder messen, aber Bedürfnisse sind individuell verursacht, Werte kollektiv. Ein Mensch hat Gefühle und Bedürfnisse, viele Menschen erzeugen ein Weltbild, eine Kultur (aber es gibt kein „Gruppengefühl, weil eine Gruppe keinen Körper hat).
So viel zu dieser integralen Landkarte , Fortsetzung folgt – ich freue ich über Ihre Kommentare oder Fragen.
Dalai Lama Zitat aus „Wir erklären den Frieden!“, Dalai Lama, Stéphane Hessel, Ulllstein Verlag, S. 29
Ken Wilber Zitat aus „Eros, Kosmos, Logos“, Fischer Taschenbuch, S. 167
Hallo Markus, super, Dein Beitrag zum Thema .. Herz und Hirn.. in der GFK und die Einarbeitung von alledem in die integrale Theorie. Vor allem bei der Frage der Unterscheidung zwischen Werten und Bedürfnissen ist mir das Licht nun aufgegangen. Wenn man die Quadranten kennt, ist das eigentlich klar. Ich kenne sie zwar, hätte es aber selbst nicht klar bekommen, den Begriff „Werte“ nach unten links einzuordnen – beim Bedürfnis ist oben links eigentlich klar. Aber – eigentlich ist es klar, wenn man es gelesen hat.
Jetzt ist mir auch klar, warum die Werte bei Menschen eine so große Wucht haben – in der REgel eine größere als die individuellen Bedürfnisse, scheint mir. (Wobei das auf die individuelle Entwicklung der Menschen ankommt – bei blauen und orangenen Bewußtseinsebenen auf jeden Fall)
Dies ist wohl so, weil die kulturelle Identität – das „sich gleich fühlen, gleich denken und handeln wie viele andere“ so viel Sicherheit gibt – und – das Bedürfnis „Dazu zu gehören“ so existentiell ist ( spiral dynamics widmet der Zugehörigkeit auf der 2 Entwicklungsebene viel Raum.)
Dass spiral dynamics dem rationalen Denken (Stufe orange) eine ganze Stufe widmet spricht eben für deren Bedeutung. Wichtig bei alledem ist allerdings, dass die grüne Stufe über die orangene hinausweist und das Denken damit relativiert wird und durch die kommunikative, fühlende, ahnende Stufe grün transzendiert wird. Spannend – Danke für die Einordnung der GFK in die Landkarte.
herzlich Franz
Lieber Franz,
vielen Dank, ich freue mich über deinen Kommentar und deine Wertschätzung! Deinen Hinweis auf die „Wucht von Werten“ und Spiral Dynamcis finde ich gut und wichtig. Die GRÜNE Ebene integriert und transzendiert im besten Falle die vorhergehenden Ebenen, ja.
Da sehe ich aber auch die dicke Schattenseite „der“ GFK-Szene (zumindest der deutschsprachigen, soweit ich sie erlebe). Dort wird bspw. die Werteebene (Gesetz, Ordnung, „BLAU“) eher verneint, statt integriert (s. dazu gerade auch die Diskussionen in der GFK-Yahoo-Gruppe). Das führt dann, wie Wilber schreibt, zur Gefahr der Regression auf die Ebene „Mir sagt keiner was hier richtig ist und was falsch“. Ähnliches gilt für die rationale Ebene und „GFK-Aussagen“ wie „Diskussionen“ sind überflüssig, nicht „mit Herz geführt“ u.ä.
Wenn du noch weitere Erkenntnisse hast würde ich mich über Austausch freuen – hier oder woanders.
Herzliche Grüße!
Markus
Hallo Markus,
ich habe mich besonders gefreut über diese Darstellung. Auch wenn …’das integrale Gedankengebäude auf den ersten Blick komplex wirkt und schrecklich viele Fremdworte verwendet’…
so halte ich ebenfalls die Beschäftigung ‚vor allem für Trainer und Ausbilder‘ jeder couleur für unerlässlich. Erst wenn man Ken Wilbers Schlussfolgerung einsieht, dass
‚Aussagen ~ Höhe x Perspektive jeweils für Wahrgenommenes wie Wahrnehmenden‘
eine Bedeutung erhalten, wird man auch wahrhaft kommunizieren können.
Wenn einmal jemand das erweiterte AQAL-Schema begriffen hat:
http://www.bildercache.de/anzeige.html?dateiname=20130202-151048-74.jpg
wird die Komplexität aller möglichen Perspektiven einleuchtend und es werden eventuell monologische oder einseitige Darstellungen vermieden.
Freundliche Grüße
franҫois