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Bedürfnisse, nicht Werte, sind der Schlüssel, um schwierigste Konflikte zu lösen, festgefahrene Gespräche voranzubringen und um Versöhnung zwischen Tätern und Opfern erreichen.

Es gibt einige Verwirrung in der „Konfliktszene“, auch unter MediatorInnen, wenn es um die Unterscheidung von Bedürfnissen und Werten geht. Auf den ersten Blick scheint es einfach, Sicherheit ist ein Bedürfnis, Pünktlichkeit ein Wert. Soweit herrscht meist noch Einigkeit.

Aber wie sieht es mit Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Gleichberechtigung aus? Werte oder Bedürfnisse? Mir ist klar, dass eine „harte“ Unterscheidung von Bedürfnissen und Werten nicht zu 100% möglich ist – dafür ist u.a. unsere Sprache, mit der wir diese inneren Erfahrungen beschreiben zu dürftig.

Meine Praxis zeigt mir jedoch, dass sich Menschen trefflich und ausdauernd über Werte streiten, dafür kämpfen und zur Not auch schon mal dafür sterben wollen. D.h. der Austausch über Werte trennt Menschen eher, als das er sie verbindet – Werte verhindern häufig Konfliktlösungen, statt sie zu ermöglichen. Ich denke, dass MediatorInnen dringend einen Denkrahmen brauchen, der ihnen bei der Unterscheidung dieser Begriffe weiterhilft.

Wie also Werte von Bedürfnissen unterscheiden? Dafür zeigt sich, wieder mal, das „Vier-Quadranten-Modell“ von Ken Wilber als hilfreich. In diesem Modell entdeckt man, dass Bedürfnisse im Quadrant Links-Oben (LO) liegen. Sie sind eine Interpretation der Welt, die individuell / innerlich ist – darin kommt nichts „Äußeres“ vor, dass heißt kein Bezug auf sichtbares Verhalten (in der GFK auch „Strategien“ genannt).

Werte dagegen sind üblicherweise eine Interpretation der Welt die kollektiv / innerlich ist (Quadrant Links-Unten). Dass heißt, der wesentliche – und entscheidende – Unterschied zwischen Bedürfnissen und Werten liegt im Entstehungs- oder Entdeckungsprozess. Bedürfnisse entdecken und beschreiben wir im innerpersönlichen, Werte dagegen im interpersonellen Dialog.

Bedürfnisse bedürfen einer tiefen Inneschau und der Frage „Was brauche ich wirklich als Mensch?“ Werte bedürfen eines gesellschaftlichen, konsensorientierten Dialogs zwischen Menschen. Diesen Dialog führen Menschen auf Basis ihrer individuellen Bedürfnisse.

Welche Werte dabei entstehen, hängt, so die Theorie von Spiral Dynamics, stark von den äußeren Lebensumständen ab. So zeigen historische Forschungen, dass mit dem Aufkommen der Landwirtschaft (nach der Phase des Gartenbaus) viele Kulturen einen Übergang von eher „gleichberechtigen“, teilweise auch matriachalen zu eher patriachalen Wertesystemen gemacht haben.

Eine sehr vereinfachende „Gleichung“ könnte den Zusammenhang von Bedürfnissen und Werten so erklären:
Werte = Bedürfnisse „+“ Lebensumstände

Innerhalb eines kulturellen Wertesystems wird nun auch klar, warum sehr leicht eine Verwechslung von Bedürfnissen und Werten stattfindet. In meiner Kultur bspw. teilen sehr viele Menschen den Wert nach Gerechtigkeit, daher lässt sich darüber auch eine gewisse menschliche Verbindung erreichen. Allerdings ist dies eine meist recht oberflächliche und fragile Verbindung, denn schon bei der Definition was „noch gerecht“ ist, gehen die Interpretationen weit auseinander – eben weil Werte eine, wie ich es manchmal auch nenne, Einigung über gesellschaftlich Strategien sind, um Bedürfnisse zu erfüllen. Ein Arbeitsloser hat eine andere Definition von Gerechtigkeit als ein Topmanager – gleiche Bedürfnisse „+“ unterschiedliche Lebensumstände = unterschiedliche Werte (bzw. Definition des „gleichen Werts“).

Erst wenn wir es in der Mediation schaffen, die Menschen mit ihren innersten, individuellen Bedürfnissen in Kontakt verbinden, entsteht der „magische“ lösende Moment in der Konfliktklärung – alle kulturellen, gesellschaftlichen Schranken können einen Moment beiseite treten und dahinter taucht der „pure Mensch“ auf.